abgrundtief und himmelhoch
In alte Schulwandkarten fügt Jutta Loch mit Hintersinn und viel Gespür fein ausgeschnittene Figuren aus Papier ein, die auf der Folie schulischen Wissens neue poetische und tiefgründige Deutungsmöglichkeiten entstehen lassen.
Speziell für diesen Raum hat sie eine fünfteilige Serie auf der Grundlage von Bodenprofilen gestaltet, in der subtil mit der Idee des Abgrunds gespielt wird. Das Oben und Unten sind austauschbar, im Abgrund kann die Rettung liegen und unter dem freien Himmel wird Gewalt ausgeübt. Fragen nach Schuld, Tod, Freiheit, Umkehr und dem wahren Leben offenbaren sich.
In Jutta Lochs Collagen treten Kunst und Glauben in einen Dialog. Die Bedeutung dieser Verbindung zeigt sich in einer eigenen Formensprache, die einen ungewohnten Zugang zu den ewigen Menschheitsfragen eröffnet.
Storchennest oder Superbia / Hochmut, 2016
Vom Himmel hoch in die menschlichen Niederungen oder Hochmut kommt vor dem Fall: Früher war alles anders. Da kamen im Frühling die Himmelsboten, die Störche, von weither mit ihrer süßen Last und flogen in ihr riesiges Nest hoch über dem Dorf.
Dort hegten sie die kleinen menschlichen Geschöpfe. Wenn junge Frauen das Klappern der Störche hörten, füllte sich ihr Herz mit Sehnsucht. Sie kletterten die wackeligen Leitern hoch und suchten sich im Nest ein Baby aus und entführten es. Nur selten holte sich ein junger Mann ein himmlisches Kind. Ein Liebespaar erwischte die falschen Leitern und landete im Nichts. Verschmitzt lacht der Maler, der sich das ausgepinselt hat, die Betrachter an.
Luzia Scheuringer-Hillus, Lehrerin
Rostfarbener Bergwaldboden / Natur vs. Materialität, 2020
Gedankensplitter – Himmel und Hölle
„Wie der Hirsch über ausgetrockneten Wasserbächen lechzt, so verlangt meine Seele nach dir, Gott“ (Ps 42,2f.)
Das Bild – aufgeteilt zwischen oben und unten, zwischen „Himmel und Hölle“, der Raum dazwischen, der Weg in den Abgrund scheint den größten Teil der Bildfläche einzunehmen, so groß wie Himmel und Hölle zusammen. Ein Hirsch, kaum sichtbar, schafft die Beziehung zwischen oben unten, bewegt sich auf einem schmalen Pfad am Abgrund auf den Boden des Abgrundes zu, hat das Geschehen dort unten im Blick, lässt es nicht los.
Auch im oberen Bildteil, im Himmel, ist ein Hirsch zu sehen, jung, lustvoll spielend, seiner Gefährtin innigst zugewandt. Eine junge Frau, Maria?, im blauen Gewand, Haar bedeckt, sich leicht zurückbeugend, der Hirsch, sie leicht berührend, wissend um den Schatz, der in ihr wächst, Symbol für Christus, Schlangenbezwinger, der der Schlange den Kopf zertritt, den Blick freimachend für die Verstrickungen in der Welt.
Der Hirsch, schon immer Zeichen für Vieles, nun transformiert in christliche Bedeutsamkeit (vielleicht doch eher Bedeutungen!): das sich jährlich erneuernde Geweih des Hirsches – Zeichen der Erneuerung und Wandlung. Der Hirsch als Vermittler zwischen Himmel und Erde, Seelenführer, als aufmerksames und wachsames Tier, das Gefahren frühzeitig erkennt…
Der Hirsch bewegt sich auf den Abgrund zu: Eine Frau im Abgrund, weiß gekleidet, matronenhaft, vor einem mit Devotionalien überladenem Tisch, Dinge, Figuren, an denen wir uns festhalten, mit denen wir uns Sicherheit verschaffen wollen, mit denen wir hoffen, Gott ein bisschen in unserer Wirklichkeit festmachen zu können. Von oben prasseln fortwährend Steine von der Abbruchkante in den Abgrund, wen gefährden sie eigentlich? Den Hirsch, der ein Stück Himmel in den Abgrund bringen könnte? Oder die Frau, die segnend, schützend ihre Hände über den Tisch hält? Wer ist diese Frau, Maria, die Mütterliche? Bilder über Bilder im Bild, die an einer Schnur befestigt, die Tischkante umgeben, auf dem Tisch vorne kleine Türmchen, innen mit Marienfiguren ausgestattet?, wirken fast wie die Türme einer Stadtmauer, auf dem Tisch eine Stadt mit all ihrem Gewusel, das den Blick nach oben verhindert, weil ablenkt? Was hält die weiße, mütterliche Gestalt in ihren Händen? Ein Buch? Auf der einen Seite die Dornenkrone, auf der anderen eine kniende Gestalt, Jesus in Gethsemane?
Elke Kaecke, Religionslehrerin
Bruchwald- und Bruchwiesenboden / Schuldigwerden, 2020
Etliche dieser Motive überschreiten ihre Ränder und verschaffen sich unerwartete Zugänge. Dieser Puppe zum Beispiel gehen die Augen über,
ich vermute von den machtvollen Bildern hinter ihrem Blick.
Krachend und kathartisch ihr Tritt.
Überschreiten,
übergehen, treten – und dann umwenden.
Einfach mal andere Spielregeln.
Liane-Heide Niederhoff, Malerin/ Kunsttherapeutin
Dunkler Humuskarbonatboden / Fallen, 2020
Am Abgrund stehend erkannte ich.
Im freien Fall herab, zu mir selbst hinauf
Niederblickend und hochsehnend
sah ich mich schweben.
Gehüllt in weißes Tuch,
schwerelos und doch getragen
Wie das Schicksal
vom ewigen Strom
Am Grunde niederdrückend
half ich mir hoch
Wie der Quellbach
das Meer
Hoch herab
und doch hinauf
Vergangenheit ward Gegenwart
und Gegenwart ward Zukunft
Die Zeit hielt den Atem an,
die Bühne ward das Immer
Alles ward jetzt,
alles ward immer
Lukas Kleiter, Architekt
Rostfarbener Waldboden / Gerettetwerden, 2020
Der erste Gedanke, der mir kam, als ich diese Collage sah, war „Mut“. Danach musste ich an einen Spruch denken, den mir eine meiner Grundschullehrerinnen einmal ins Poesiealbum schrieb: „Wenn einer, der mit Mühe kaum geklettert ist auf einen Baum, schon meint, dass er ein Vogel wär‘, so irrt sich der.“ Dazu ergänzte sie, dieses sei ein wohl gemeinter Rat von Wilhelm Busch, aber ich würde wohl nie ängstlich von meinem Ast herunterschauen, sondern immer weiter klettern.
Welches Vertrauen und was für ein Mutmacher.
Hier kann auch geklettert und Vertrauen angenommen werden, zumindest, wenn das kleine Kind die grosse Welt, das Licht betreten und erblicken will. Wie eine Himmelsleiter, die nicht in den Himmel, sondern ins Kornfeld, ins volle Leben führt.
Das Kind sieht aus, wie vor einer Entscheidung.
Jedenfalls wären die Engel und die abenteuerlustigen Freunde da, die Hand zu reichen auf dieser Lebensleiter. Schau Dich um, da ist wer, der für Dich da ist und Dir hilft. Das Vertrauen und den Mut musst Du selbst aufbringen, aber Du bist nicht allein.
Julia Jentsch, Schauspielerin
Staunässeboden / Das Leben, 2020
Das Abschlussbild der Reihe „Staunässeboden“ mit dem Titel „Das Leben“ stellt eine Frau / eine Mutter / eine Göttin mit Kind oder Tochter in den farblichen Mittelpunkt der Collage. Tief in der fruchtbaren Erde, im Mutterboden, in der Höhle vergnügen sich die beiden in freudig inniger Zweisamkeit. In dieser Erdhöhle haben sie alles, was sie zum guten Leben brauchen.
Üppige Blumenarrangements, Nahrung, Schmuck, zutrauliche Tiere, und vielfältige Spiele. Hoch über dieser Diade, steht nah an der Abbruchkante, ein archaisch wirkender Mann, ein Bauer, ein Krieger ausgestattet mit zwei Stäben, die Waffe, Hilfsmittel oder Werkzeug sein können. Vor sommerlicher Landschaft mit Kornähren nähert sich dem Mann ein Raubtier. Die fleißigen Bienen, die Süße und Fruchtbarkeit bringen, verbinden Oben und Unten, Himmel und Erde. Leben als Mann und Leben als Frau mit Kind sind deutlich unverbunden.
Sabine Kraizcek-Krüger, Religionslehrerin
Bei den Schlangen, 2017
Am Anfang lag die Versuchung der Schlange. Werden wir erneut aus dem Paradies vertrieben? Doch diesmal ist ein Kind erschienen, um der Schlange entgegenzutreten. Hilflos verkettet bleiben wir wie der Vater nur hilflos-ferne Zuschauer.
Alle unsere Hoffnung liegt in der Kraft des Engels, der sich schützend über das Kind beugt.
Lutz Hillus, Banker
Bei den Fischen, 2017
Engel fliegen. Zwischen Himmel und Erde. Zwischen Wasser und Sand. Als kleines Mädchen träumte ich davon, mit einem Glücksdrachen fliegen zu können; der war weiß und hatte Schuppen wie ein Fisch. Wer schützt dich eigentlich davor, die Hoffnung zu verlieren, wenn deine Träume nicht erfüllt werden? Wer bewahrt dich vor dem Verlust deiner kindlichen Güte?
Engel segnen deinen Weg. Auch wenn dieser tief durch den Schlamm deines Seelensees führt. Da, wo die Karpfen wohnen und ihnen ihr bitter-traniger Geschmack verliehen wird. Ein Geschmack, der mir zuwider ist und vielen anderen auch. Wir Menschen sind klug. Wir finden Wege, um uns Unerwünschtes vom Leibe zu halten. Karpfen wässern wir, befreien sie von ihrer Natur, damit sie am Neujahrsabend süß auf unserer Zunge zergehen.
Und doch lernen wir irgendwann, dass wir nicht alles immer abhalten können, was uns nicht gefällt. Dass auch unser Leben mal im Schlamm steckt, wir unsere sorgenlose Kindheit verlieren wie eine Puppe im Wasser. Und der Stock ist zu kurz; es gibt nicht immer ein Zurück. Träume schwimmen dahin wie Fische im Karpfenteich und erst später werden wir merken: Leben tut auch mal weh. Leben lässt sich nicht auswässern. Doch Engel fliegen. Zwischen Himmel und Erde. Zwischen Wasser und Sand.
Zwischen oben und unten. Engel retten dich nicht vor jedem Fall. Sie sehen sogar manchmal dabei zu, wie du dich selbst in Sümpfe begibst. Doch sie sorgen sich um deine kindliche Güte. Helfen dir, deine Träume nicht zu verlieren. Engel segnen deine Wege, auch die schmerzvollen. Und manchmal schaffen sie es, dir für einen kurzen Moment das Gefühl zu geben, als rittest du nicht auf Fischen durch den Schlamm dieses
Lebens, sondern als flögest du, zwischen Himmel und Erde, wie auf einem Glücksdrachen.
Rebecca Marquardt, Pfarrerin
Die Entwicklung des Kindes im Karpfen, 2017
Die Collage ‚Die Entwicklung des Kindes im Karpfen‘ von Jutta Loch ist in zwei Ebenen unterteilt: Wasser und Grund. Der Grund,
ein dreiviertel der Bildkomposition einnehmendes schwarzes Off, liest die anatomischen Strukturen des Karpfens auf:
Ein abgetrennter Karpfenkopf mit Kiemen im mittleren Bildabschnitt und das Skelett des Fisches am unteren Grund.
In ihnen einen sich die Spuren der Menschwerdung. Das Skelett eines Kleinkindes, Wirbel für Wirbel angeschmiegt an das Rückgrat des Karpfens, zeigt das anatomische Grundgerüst des Lebens wie es gleichermaßen sein Ende der Entwicklung vorausnimmt, abgesunken in die Tiefen des dunklen Schlicks, aus dem einst wieder das Leben gedeiht. Feinfühlig werden die Entwicklungsstadien des Kindes im Karpfen in den Bildzusammenhang eingeführt – bis auch das Kind den Leib des Fisches verlässt und sich unabhängig von ihm weiterentwickelt.
Im kalten Nass auf dem Rücken des Mutterfisches,
der Flossenschlag ins Leben steht kurz bevor.
Doch auch die Sehnsucht nach dem Wasser treibt uns Menschen zum Land zurück, wenn die Luft zum Atmen in den Lungen knapp und die Haut der Fingerspitzen weich wird.
Flavia Lamprecht, MA Kunst- und Bildgeschichte
Bum und Bless im Hundehimmel, 2014
Bislang sehe ich 12 Hunde und zwei Katzen. Es sind die Gäste in der HuTa (Hundetagesstätte) „Hundehimmel“. Das ist eine 1.000 qm große Wiese hinter einem ehemaligen Bauernhof mit alten Obstbäumen und umgeben von einem soliden Zaun. Der Golden Retriver und die beiden Katzen gehören der HuTa-Betreiberin.
Die anderen werden morgens von ihren Besitzern abgegeben und abends wieder abgeholt.
Mehr als 12 Hunde werden nicht aufgenommen, auf der Warteliste stehen schon drei, aber erst wenn ein Tier stirbt oder abgemeldet wird, kam ein neues dazu kommen. Bei der Anmeldung musste zuerst ermittelt werden, ob das Tier sich mit anderen Hunden und den Katzen verträgt. Nicht immer passt es. Wie sich ein neuer Hund verhalten wird, kann niemand voraussagen. Manche Neurotiker blühen auf, andere zeigen dann ihre schlechten Seiten.
Die Hundehalter sind sehr froh über diese Einrichtung, und es gibt kaum Fluktuation, obwohl die Gebühren von 5 Euro / Tag einigen nicht leicht fallen, vor allem, wenn sie zwei, drei oder vier Hunde haben.
Der letzte Neuzugang war der Bernhardiner. Er ist ein bisschen weniger agil als die anderen, aber meist gutmütig.
Gisinda Eggers, Religionslehrerin und Egli-Kursleiterin
Die Befreiung des Muschelfleisches, 2020
Schon am Strand waren uns auffällig viele Frauen begegnet. Alle von ihnen waren, ich will es mal so ausdrücken, recht offenherzig. Sie lagen nackt in der Sonne oder masturbierten. Für uns ein wirklich befremdlicher Anblick – solche Freizügigkeit kannten wir nicht. Wir standen in unseren Taucheranzügen bereit, um eine kürzlich entdeckte Unterwasserwelt zu besichtigen – jene,
aus der die Frauen am Strand aufgetaucht waren.
Durch die tosenden Wellen tauchten wir hinab. „Folgen Sie mir.
Sie werden sehen, es ist wirklich ganz und gar famos. So etwas haben Sie noch nicht gesehen!“, sprach die blonde Dame und sauste uns auf ihrem Seepferdchen voraus. Die Frau, nur mit einem Bikini bekleidet, brauste durch das Wasser, bis sie zu einer riesigen grün-perlmuttigen Muschel gelangte. „Sehen Sie, hier befindet sich der Ursprung allen Lebens.“,
sagte sie und deutete auf die Muschel. Und wirklich, die Muschel öffnete sich und hinaus sprang eine gebräunte Frau in gestreiftem Badeanzug. Sie winkte uns zu und verschwand daraufhin lachend im Blau des Meeres. Im Innern wuchsen an den verschiedenen Stellen des Muschelfleisches, an ihren Organen weitere überirdisch schöne Damen, die ebenso kurz davor standen, sich aus ihr zu befreien und ein Leben in dieser wundersamen Unterwasserwelt zu beginnen. „Wir haben hier die Möglichkeit gefunden, uns, das weibliche Geschlecht, ganz allein zu reproduzieren – ohne Männer. Ich muss schon sagen, es ist für uns eine regelrechte Erleichterung. Wir genießen es, unsere Freiheiten zu haben. Keiner, der von uns zum Feierabend einen Pudding auf dem Tisch erwartet, keiner, den wir um Geld bitten müssen, keiner, den wir um Erlaubnis fragen müssen, wenn wir selbst einer Arbeit nachgehen wollen statt die Kinder zu hüten. Ich meine, wir befinden uns im Jahre 1953 und in der Ehe herrschen immer noch mittelalterliche Zustände.
Das wollten wir uns nicht mehr gefallen lassen und da kam uns diese Idee ganz gelegen. Wir pflanzen ganz einfach Eizellen in das Muschelfleisch ein und diese tragen uns in Windeseile aus.“
Hinter unseren Taucherbrillen schauten wir verblüfft drein.
Wir konnten es gar nicht fassen, wie einfach und genial diese Idee war. Den männlichen Mitgliedern unserer Gruppe wurde ganz mulmig zumute im Angesicht ihrer Unnötigkeit. Uns allen hier schien diese Welt fremd, aber gleichzeitig wahnsinnig berauschend und anziehend.
Lauter schöne, makellose Damen in freiheitlicher Einträchtigkeit, die tun und lassen können, was sie wollen, sich nicht um die Meinung anderer scheren müssen und ihrer Sexualität freien Lauf lassen. Wahrhaftig,
es war die Befreiung des Muschelfleisches.
Nina Mumm, Kulturwissenschaftlerin
Kopfschimmel / The Secret Garden, 2017
Durchsage für Jutta
Achtung, Achtung! Meine Damen!
Wo sind denn Sie hingeraten?
Und was entspringt – um Gottes Willen – Ihren Köpfen?!
Man könnte meinen, Sie wandelten über gebleichten Korallen…
Aber was da über Ihren Häuptern schwebt, ist höchst bedenklich! Wenigstens sind die meisten in dieser Versammlung sittsam gekleidet. Kann es sein, dass Sie sich konspirativ vernetzen?
Was führen Sie mit? Zeigen Sie es her! Und die Musen: Nehmen Sie umgehend Ihre Tücher und bedecken sich!
Aus mit dem Spiel! Das ist nur Kopfschimmel.
Beate Swoboda, Literatur- und Religionswissenschaftlerin
Sternenhimmel / Himmelszeit, 2018
Im Himmel werden wir uns über drei Dinge wundern, sagt Voltaire. Erstens Menschen zu treffen, die wir dort nicht erwartet haben. Zweitens: Menschen nicht zu sehen, die wir dort erwartet hätten. Und drittens: uns selbst dort zu treffen. Die Himmelskarte, die Jutta Loch für uns hier aufgerollt hat, scheint so ein Ort der unerwarteten Begegnungen zu sein. Natürlich, da sind zunächst die üblichen Verdächtigen: Engelswesen mit gebauschten Flügeln, die am oberen Kartenrand den Überblick behalten oder ein Putto mit einer Laterne. Irgendwo in der Mitte, ganz klein und sichtlich bescheiden, steht auch ein Schokoladen-Mohr mit einer mehrstöckigen Torte parat. Ein äsendes Reh gehört ebenso zum Personal wie eine segelnde Möwe oder ätherisch schöne Frauenfiguren, allesamt bleich wie Alabaster – wie aus dem Nebel der Kunst- und Kulturgeschichte vor uns aufgetaucht. Anmutige Rokoko-Grazien schütten verschwenderisch Blüten aus, mädchenhafte Anmut trifft auf Lehmbrucks „Gestürzten“, der als zeitloses Gegenmodell der Heldenverehrung davon erzählt, was alles unter diesem einen Himmel geschehen ist und noch immer geschieht.
Maren Kruse, Kulturredakteurin